Judenstraße 1

Christuskirche/Marienkapelle
Vorgängerbau (bis etwa 1422): Synagoge
Bamberg, Judenstraße 1


Westfassade
Süd- bzw. Längsfassade (Balthasargässchen)
Hausnummer im 19. Jahrhundert: ---

Hausname:   
   ehemals: Kapelle zu Unserer Lieben Frau = Marienkapelle
   jetzt: Christuskirche der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde (Baptisten)

Baubeginn: 1460-1467  
Unter der Herrschaft des Fürstbischofs Albrecht Graf von Wertheim genossen die Juden im Judenhof (Judenstraße, Pfahlplätzchen) Schutzprivilegien. An der Stelle der heutigen Christuskirche befand sich die Synagoge. Nach dem Tode Albrechts von Wertheims beschlossen 1422 die fränkischen Herrscher - die Fürstbischöfe von Würzburg und Bamberg und die Markgrafen von Brandenburg-Bayreuth - die Vertreibung der Juden aus ihren Machtbereichen (Herzogenauracher Fürstenbeschluss). Die Juden des Judenhofes siedelten in die (nicht bischöfliche) Inselstadt  (Hellerstraße) um.
  
Offensichtlich wurde die Synagoge rasch eingerissen, denn schon 1428 wird "Unserer Lieben Frauen Kapellen" in einer Lagebeschreibung des Nachbarhauses (heute: Pfahlplätzchen 3) genannt. Der heutige Bau erhielt seine Weihe am 2. Juli 1470 durch Weihbischof Johannes Goldener. Stiftungen des Domscholasten Johann Marschalk von Ebnet des Jüngeren hatten den Neubau ermöglicht.  Offensichtlich bestand der Baukern des Vorgängerbaus aus der Synagoge, da er in einer Stiftungsurkunde des Domherrn als überaltert und zu eng geschildert wurde, gleichzeitig wird auf die "olim maledictorum Judeorum Synagoga" ("ehemalige Synagoge der verfluchten Juden") Bezug genommen.  

Baubeschreibung:
Besichtigung des Innenraumes
   gewölbte Saalkirche mit eingezogenem Chor
   Chor mit durchgehendem Netzgewölbe
   Vier Schlusssteine des Chorgewölbes tragen bildliche Darstellungen; sie stammen z. T. noch aus der Entstehungszeit der Kapelle (um 1467):
a) Muttergottes (farbig gefasstes Relief)
b) Laubwerk  
c) Relief eines Engels mit dem Wappen des Domherrn Johann Marschalk von Ebnet d. J.; umgeben von vier Agnatenwappen (Marschalk von Ebnet, von Wiesenthau, von Künsberg und von Streitberg)
d) Gemälde einer männlichen Halbfigur mit zweitürmigem Kirchenmodell (hl. Heinrich; Enstehung vermutlich im 17. Jahrhundert); ringförmige äußere Begrenzung des Gemäldes: skulpiertes Laubwerk.
   Chorraum zur Zeit durch eine Zwischendecke zweitgeteilt
   Abschluss des Chorbogens zur Zeit durch eine Holzwand
   Langhaus mit vier querrechteckigen, kreuzrippengewölbten Jochen
   Schlussstein des östlichen Joches mit gespaltenem und geteilten Wappenschild
   Schlussstein des zweiten Joches mit gespaltenem Wappenschild
   drittes und viertes Joch (westliche Joche) mit glatten Scheibenschlusssteinen  
   Stuckdekorationen von Johann Jacob Vogel im Gewölbe von Chor und Langhaus; die Deckengemälde im Langhaus wurden um 1946 (Nutzung durch U.S.-Army als Kapelle) übertüncht.
   Fenster spitzbogig, ihrer Maßwerke beraubt
   Fassaden (mit Ausnahme des Westgiebels) mit unverputzten Sandsteinquadern
   Chordach höher als das Dach des Langhauses; dieses mit sieben Giebelgauben
   Dach des Chores: frühes Beispiel eines Kehlbalkendaches auf liegendem Stuhl
   Chor ursprünglich mit Dachreiter (auf dem Stadtplan von Petrus Zweidler von 1602 erkennbar)
   Giebelfassade dreiachsig, südliche Längsfassade vierachsig
   Chorraum von außen großenteils verbaut

Letzte Restaurierungsarbeiten: 1991

Ehemalige Ausstattung:  
   Die im Bayerischen Nationalmuseum/München aufbewahrte Maria im Ährenkleid ist vermutlich die um 1430 entstandene Altartafel vom Hochaltar der ehemaligen Marienkapelle. Eine Nachbildung dieser Tafel wird auf dem Maria-Hilf-Altar der Oberen Pfarre als ehemaliges Gnadenbild der Marienkapelle verehrt.
   Altäre: Zahlreiche Altäre schmückten den Innenraum. Wohl an Stelle früherer Altäre  wurden 1698 ein Muttergottesaltar, ein Heinrichs- und Kunigundenaltar, ein Dreifaltigkeitsaltar und ein Annaaltar geweiht. Diese und andere Altäre sind verschollen.
   Das Epitaph des Stifters, Johannes Marschalks von Ebnet d. J., ist nicht mehr vorhanden. Es bestand aus Stein und trug folgende Inschrift:
Anno Dni MCCCCLXXII obiit venerabilis Vir Dnus Johes Marschalck de Ebnet Canon et Scholast Ecclie Bamberg Constructor et fundator pretis Collegii...
(Im Jahr des Herrn 1472 starb der ehrenhafte Mann Herr Johannes Marschalk von Ebnet, Kanoniker und Scholast der Kirche von Bamberg, Erbauer und Gründer des vorstehenden Kollegs...)

Nutzung:  
vor 1422: Synagoge
1428-1803: Kapelle
1803-1805: Mehlmagazin
1805-1819: Lager für säkularisiertes Kirchengut (Besitz des Antiquars Paul Bundle)
1819-1832: Möbelmagazin und Zimmerei  
1832 f.: Getreideschranne (Getreidemarkt: Hier wurde Getreide verzollt, gewogen und vermarktet.) - Der Schrannenwärter erhielt eine Wohnung im Dachgeschoss.
1876 f.: Turnhalle
seit 1946: protestantische Kirche der U.S.-Army. 1951 verkauft die Stadt Bamberg die Kapelle an den Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland.

Baugeschichte:  
1470, 2. Juli: Weihe durch Weihbischof Johannes Goldener. In Übereinstimmung mit dem Weihetermin konnte als Fälldatum der Hölzer des Chordaches 1467-1468 ermittelt werden.
1726: durchgreifende Renovierung:
   Balthasar Köberlein zieht einen neuen Chorbogen ein.
   Johann Philipp Stahl verziert Decken und Wände mit Gemälden.
   Johann Joseph Vogel bringt Stuckdekorationen an.
1743: neuer Dachstuhl
1803, 1. Oktober: Säkularisation; Entfernung der Ausstattung: Das Altarbild gelangt in die Obere Pfarre. Nutzung als Mehlmagazin... (siehe oben!)
1922: Instandsetzung der Fassade/Freilegung des Quadermauerwerks
1967: Neueindeckung des Daches
1976: Renovierung: Einbau eines  Natursteinbodens, Erneuerung des Innenputzes, Instandsetzung des Portals, Einbau neuer Fenster
1991: Einziehen von Zugankern im Langhaus

Quelle:
BREUER, T. u. GUTBIER, R. (1997), S. 23; 335-355; 837.
Weiter
Im Rahmen des Aufbaustudiums Denkmalpflege an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg  wurde die Baugeschichte der ehemaligen Marienkapelle untersucht; die Autorin zog folgendes Fazit:
"Allein die Untersuchung der Westfassade konnte zeigen, daß es sich bei der ehemaligen Marienkapelle ohne Frage um einen Neubau handelt, wohl aus dem späten Mittelalter, der von zahlreichen Veränderungen und Eingriffen der folgenden Jahrhunderte gekennzeichnet ist. Daß in dem Baukörper keine Reste der wohl frühmittelalterlichen Synagoge erwartet werden können, legen schon die Bodenbefunde der unmittelbaren Umgebung nahe. So ist, wie mehrere archäologische Kampagnen im Umkreis der Christuskirche gezeigt haben, bis um etwa 1200 der Laufhorizont mindestens zwei Meter unter dem heutigen anzunehmen. Das bedeutet, daß der erste Synagogenbau in Bamberg, der vielleicht schon mit der frühen Erwähnung der Juden (1200) in Verbindung zu bringen ist, um einiges tiefer gegründet haben muß. Im Spätmittelalter kann dagegen von einem Laufhorizont kaum unterhalb des heutigen ausgegangen werden. ...
[Es] erscheint ... sinnvoll, sich der These Tilmann Breuers anzuschließen und in dem Baukörper der Christuskirche einen vollständigen Neubau zu sehen, dessen Langhaus den Grundriß der Synagoge übernommen haben kann."
RÖVER, E.: Untersuchungen zur Baugeschichte der ehemaligen Marienkapelle in Bamberg. Bamberg: Otto-Friedrich-Universität, ca. 1995; S. 21.

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Agnaten: von lat. agnatus = nachgeborener Sohn, d. h. Sohn, der zur Welt kommt, wenn bereits durch Verwandtschaft, Testament oder Adoption ein rechtmäßiger Erbe vorhanden ist. Auch: Zu- oder Angeborener, das ist ein durch Geburt oder Adoption Anverwandter von väterlicher Seite. Letztere Übersetzung ist hier zutreffend.
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Quelle:
GEORGES, K. E.: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. 2 Bände. Hannover: Hahnsche Buchhandlung, 1976 (14. Auflage).